Das Ritter, das Urania, das Griensteidl. Immer mehr Wiener Cafés sperren zu. Schaffen wir jetzt eine Grundlage, die Kaffeehäuser mit ihren Eigenheiten und Freiheiten zu erhalten.
Das 150-Jahr-Jubiläum vom Café Landtmann am 1. Oktober solllte uns nicht täuschen. Die Wiener Cafés Urania, Griensteidl, Schottenring, Sperlhof gibt es nicht mehr – wir vermissen sie. Das Café Ritter in Ottakring ist seit diesem Jahr zu. Das Westend steht an der Kippe. Der Florianihof hat vielleicht Glück. Und das Prückel wird ab 2024 von Daniel Jelitzka von JP Immobilien und einer Gastronomengruppe betrieben – wer weiß, wie sehr es sich verändern wird.
Das Kulturgut Café – es besteht weniger aus der Konsumation als im Sein. Allein sein – mit anderen sein – allein mit anderen sein. (Zeitung) lesen. Spielen. Arbeiten. Denken. Streiten. Sehen. Gesehen werden. Geschäfte machen. Kaffeehauskultur ist Teil der Identität von Wien. Das Betreiben der Zusammenkunft Wiener Kaffeehaus ist kein Geschäft, es ist eine Kunst. Das Café ist ein Ort, der nicht rein marktwirtschaftlich geführt werden kann, aber eine Art kulturelle Infrastruktur ist.
Wiener Kaffeehäuser sind groß, das bedeutet viel Personal-, Energie- und Mietaufwand. Wenn der Mietzins nicht aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammt, ist er immens hoch. Bei Betreiber- oder Eigentümerwechsel erhöht er sich meist wesentlich. Das können sich oft nur Investoren oder jene leisten, die auf die totale Vermarktung an Touristen setzen und sofern die Lage das hergibt. Wesentliche Elemente eines Kaffeehauses gehen dadurch verloren. Das Angebot ist dann für Stadtbewohnerinnen meist nicht mehr interessant. Die Kaffeehäuser sind aber nur echt, wenn sie auch von uns Wienerinnen und Wienern besucht werden. Diese Echtheit macht die Unverwechselbarkeit von Wien aus, nicht die austauschbaren Shoppingangebote wie in allen anderen Städten.
Paris hat 2004 die Institution „Semaest“ ins Leben gerufen. Sie kauft mit Vorkaufsrecht leer stehende Lokale in Nachbarschaften mit negativer Entwicklung. Die gekauften Lokale sind für eigenständige Betreiber zu Mieten, die weit unter dem Marktpreis liegen, verfügbar. Das Ziel ist, den unabhängigen Einzelhandel zu erhalten, die Versorgung und Lebendigkeit einzelner Straßen und Viertel zu sichern. Wie wäre es gewesen, wenn das Café Ritter von der Stadt Wien gekauft und für eine günstige Miete verpachtet worden wäre? Würde Johann Diglas das Café Westend noch betreiben?
Paris macht es uns vor
Schaffen wir eine Grundlage, Wiener Kaffeehäuser mit ihren Eigenheiten und Freiheiten zu erhalten. Auch Heurige, traditionelle Handwerksbetriebe, Buchgeschäfte und der kleinteilige Einzelhandel ließen sich auf diese Weise erhalten und fördern, wichtige Straßen und Grätzel könnten (wieder)belebt werden. Wenn Bürgermeister Michael Ludwig, die Wiener SPÖ, die Neos Wien, Walter Ruck und die Wirtschaftskammer Wien das wollen, dann machen wir das nach.
Bedenken Sie bei Ihrem nächsten Besuch in einem Wiener Café, dass dessen Existenz nicht gesichert ist. Tun ließe sich einiges dafür.
Hinweis: Dieser Text wurde zusammen mit der Gastronomien und Unternehmerin Maria Fuchs verfasst. Er erschien am 17.10. 2023 in der Zeitung Die Presse.