Schwarz-Rot-Pink? Nach der Wahl könnte Österreich erstmals von einer Dreierkoalition regiert werden. Auf welcher Grundlage?
Drei oder mehr Parteien regieren aktuell in 17 der 27 EU-Staaten. In Österreich war das etwa in Salzburg von 2018 bis 2023 zwischen ÖVP, Grünen und Neos prominent der Fall. Bei Mehrparteienregierungen kommt es nicht auf das Was, also die Form der Regierungskonstellation, an. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet das Wie, die fortlaufende Gestaltung der Rahmenbedingungen sowie die handelnden Personen, ihre Haltungen, Fähigkeiten und Beziehungen zueinander. Gemeint ist die persönliche Beziehungsarbeit der Regierungsmitglieder, der Kabinettsmitarbeiter, der Klubleitungen und Abgeordneten.
Relevant, aber nicht ausschlaggebend sind inhaltliche Schnittmengen. Tauschgeschäfte und Kompromisse gelingen, wenn die Haltung und die Rahmenbedingungen stimmen und die Beteiligten wollen. Es kann sogar von Vorteil sein, wenn sich die Parteien inhaltlich nicht zu stark ähneln, damit ein eigenständiges Profil gewahrt werden kann.
Deshalb sei an dieser Stelle dem geschätzten Hannes Androsch widersprochen, der dieser Tage der „Kleinen Zeitung“ sagte: „Wir brauchen keine Wiederholung der deutschen Ampelkoalition. Wenn die draußen schon nicht funktioniert, dann sind die Voraussetzungen bei uns noch viel schlechter.“ Das lässt sich nicht einfach auf Österreich übertragen. Die Koalition in Deutschland scheitert an ihren Persönlichkeiten und Rahmenbedingungen und ist einfach bedenklich schlecht geführt.
Zeit für eine Extraanstrengung
Der Moment, in dem sich Österreich, Europa und die Welt befinden, verlangt jetzt absolute Ernsthaftigkeit, Ehrgeiz und Mut. Es gilt, historische Herausforderungen zu lösen und wirksame Reformen durchzusetzen. Das bedingt die Haltung, gemeinsam besser sein zu wollen als das Bisherige. Es ist Zeit für eine Extraanstrengung. Die gewohnten Abläufe und Leistungen sind nicht ausreichend für die Anforderungen unserer Zeit. Was braucht es also jetzt für eine Dreierkoalition?
Vertrauen: Es braucht den Willen aller unmittelbar Beteiligten. Nur dieser ermöglicht die Offenheit für das nötige Vertrauen und die Entschlossenheit, dieses Vertrauen tagtäglich aufs Neue zu gewinnen.
Großzügigkeit: Es braucht die Haltung, proaktiv und ernsthaft zu geben und nicht nur zu nehmen, ein großzügiges Geben und damit einhergehend ein Einstehen für das Gemeinsame und für den anderen. Regieren ist sauschwer, aber es ist leichter und erfolgsversprechender, wenn man es seinen Partnern aktiv gönnt. Es funkt, wenn drei Parteien am Tisch sitzen, die sich auf Augenhöhe begegnen – ohne den Versuch des einen, die anderen kleinzuhalten, unabhängig von der Anzahl der Mandate. Durchschlagender Erfolg ist möglich, wenn alle großzügig ins Regierungsprojekt und damit in Österreich investieren. Erfolg wird verhindert, wenn man sich stattdessen ängstlich in Parteiinteressen verfängt.
Führung: Es braucht die Fähigkeit und den Willen sämtlicher Beteiligten, Verantwortung fürs Ganze zu übernehmen, anzutreiben und initiativ zu sein. Damit ist gemeint, sich nicht davor zu scheuen, sich für eine Idee und die gemeinsame Sache in eine ungemütliche Lage zu bringen – in der Lagebesprechung, der Kabinettssitzung, den Parteigremien oder in der Öffentlichkeit.
Erzählung: Es braucht eine Erzählung auf Basis gemeinsam erarbeiteter Ziele und Inhalte. Das bietet Orientierung nach innen und nach außen. Ein Wortbild, das symbolisiert, was diese Zusammenarbeit sein will und was man miteinander erreichen will. Ein Versprechen, das man in aller Ernsthaftigkeit zu halten gedenkt, indem man sich selbst jeden Tag aufs Neue dazu verpflichtet.
Struktur: Es braucht gute Organisation und interne Kommunikation auf Basis ausreichender Ressourcen und entsprechender Strukturen. Es ist ratsam, die Regierungskoordination in unparteiische Hände eines Teams zu legen, das sich keiner Partei, sondern dem Regierungsprojekt als Ganzem verpflichtet fühlt, dessen Aufgabe der Erfolg aller drei Parteien gleichzeitig ist. Ein Team, das für das Management der gemeinsamen Aktivitäten verantwortlich ist, das Erfahrung in Regierungsabläufen und politischer Kommunikation, aber auch in der Gestaltung interner Kommunikationsräume sowie gemeinsame Lernerfahrungen mitbringt.
Beziehung: Es braucht die bewusste Beziehungspflege. Sei es bei ein paar Bier, bei Reisen, in Workshops und Klausuren, beim Aufarbeiten gemeinsamer Extremsituationen und in intensiven Verhandlungen. Es sind bewusst geschaffene Situationen und gestaltete Kommunikationsformate, die Beziehung und Nähe, Austausch und Lernen fördern.
Kommunikation: Es braucht eine Regierungskommunikation, die vermittelt und erklärt. Regierungsmitglieder und Parteien promoten klarerweise sich selbst. Die Regierungsarbeit, die Herausforderungen und Maßnahmen müssen allerdings parallel dazu gekonnt und umfangreich auf sämtlichen Kanälen erklärt werden. Damit ist nicht Propaganda, sondern Wissensvermittlung in aller Ernsthaftigkeit gegenüber der Bevölkerung gemeint. Auch das übernimmt idealerweise die Regierungskoordination, denn dann spricht jemand für die Bundesregierung, ohne dabei Pluspunkte für die eigene Partei sammeln oder Minuspunkte verhindern zu müssen.
Personal: Es braucht Menschen, die ihr Bestes geben können und wollen. Die sich selbst führen können. Die wissen, was sie können und was nicht. Wie sie sich nicht von Unsicherheiten treiben lassen. Wie sie selbstbestimmt sein können. Wie sie sich erden und ihren Narzissmus und Karrierismus im Griff haben. Menschen, die das gemeinsame Regierungsprojekt über die eigenen und die Interessen der Partei stellen. Führungskräfte, die ausreichend fachliche Expertise, praktische Erfahrung und methodische Praxis mitbringen, mit der sie auch am freien Arbeitsmarkt reüssieren würden.
Kreativität: Ja, richtig gelesen. Regieren in diesem historischen Moment ist eine Fahrt querfeldein durch Nebel ohne Route. Das Navigieren in einem solch komplexen Umfeld lässt sich nicht nach Rezept umsetzen. „Es geht darum, das Richtige zu tun, statt die Dinge richtig zu tun“, sagt Peter Drucker. Man kann es nicht richtig machen, stattdessen gilt es, neue Lösungen für etablierte Probleme zu finden. Das geht nicht allein rational oder intellektuell, da kommt es auf Kreativität an. Was braucht es dafür? Offenheit, Methoden und Designkompetenz, Raum und Ressourcen für systematische Regierungs- und Verwaltungsinnovation. Die Kreativität braucht einen fixen Platz am Regierungstisch: für Ideen, Interventionen, Vermittlung, Verknüpfung, Inspiration. Es heißt nicht umsonst Staatskunst.
Das Wie fängt bereits beim Verhandeln an. Verhandeln ist schwer wie Regieren – in jeder Konstellation. Eine Dreierkoalition kann laufend unterschiedliche Wechselwirkungen entfalten, das sorgt für Dynamik – Mangelware in Österreich. Die Bevölkerung scheint nach Umfragen eine Zusammenarbeit von ÖVP, SPÖ und Neos zu präferieren. Jetzt heißt es: Ärmel rauf und sich selbst übertreffen. So wird eine Bundesregierung zum Role Model in Europa, dem Modell Österreich.
Hinweis: Dieser Text erschien am 04.10. 2024 auch in der Zeitung Die Presse